Die Großstadtburg

Titelbild Die Großstadtburg Quinn sitzt auf einer roten Kiste

Quinn will mit seiner Freundin Rada das Leben auf einer Burg nachspielen. Aber das Wohnzimmer ist alles andere als geeignet dafür. Nachdem sein Papa aufgeräumt hat, bleibt weniger Platz als vorher!

Quinn drehte sich im Kreis und nahm das schummrig beleuchtete Wohnzimmer in Augenschein. Klappsofa mit Papa, Nachttisch aus gestapelten Büchern, Stehlampe, Wäscheständer, Ohrensessel vom Flohmarkt samt grüner Strickdecke, Fenster und wieder das Klappsofa mit Papa.
»So kann das nicht bleiben!« Quinn raufte sich die roten Locken. »Wir brauchen später mehr Platz!«
»Kommt drauf an, was ihr spielen wollt.« Papa gähnte herzhaft. Er hatte bis tief in die Nacht gearbeitet. Das musste er oft.
»Ich hab Rada auf meine Burg eingeladen«, klärte Quinn ihn auf. »Hier ist der Nordturm.« Er stieg über den Bücherstapel mit Papas Wecker und zog am Rollladenband. Erfolglos. Es klemmte.
Papa lehnte sich zu ihm rüber und packte mit an. Ächzend fuhren die Latten hinauf und gaben den Blick auf ein Meer von Dächern frei. Dazwischen standen Bäume, deren Blätter bereits gelb wurden. Quinn riss das Fenster auf.
»Siehst du, das sind meine Städtereien.«
»Deine was?«
Quinn kuschelte sich neben Papa unter die Bettdecke. »Na im Mittelalter hatten die Burgherren Ländereien. Felder, die von Bauern bewirtschaftet wurden. Und weil es hier weit und breit keine Felder gibt, hab ich eben Städtereien.«
»Bauern gibt es trotzdem«, hielt Papa dagegen. »Was glaubst du, wo unser Obst und Gemüse her kommt?«
Papa hatte recht. Sie holten ihr Grünzeug aber nicht direkt beim Bauern, sondern gingen einmal die Woche zur Essensausgabe. Sie hatten einen Berechtigungsschein, damit sie nichts bezahlen mussten. Dafür standen sie oft lange an. Hin und wieder gingen sie auch zum Markt. Dort bekam Quinn meist was geschenkt. Einen Apfel, eine Banane, manchmal auch Karotten oder Blumenkohl. Das konnten sie immer gut gebrauchen.
Quinn legte den Kopf schief. »Ich hab’s, du bist der Burgkoch!«
»So sei es!« Papa lachte. »Ich bereite jetzt das fürstliche Frühstück vor.« Er rollte sich vom Sofa und schlappte in die Küche.
Quinn zog sich die Bettdecke bis zur Nasenspitze. Auf einer Burg hätte er das wohl auch getan. Die hatten damals noch keine Fensterscheiben. Geschweige denn Heizungen. Die lief bei ihnen aber auch selten. Papa war der Meinung, wenn man heizt, fliegt das Geld beim Lüften aus dem Fenster. Deshalb zogen sie lieber zwei Pullis übereinander. Ihr Alltag hatte also erstaunliche Ähnlichkeit zum Burgleben. Vom Platz abgesehen. Sie lebten in einer Großstadt. Quinns Zimmer reichte gerade mal für das Bett und den Schreibtisch. Der Kleiderschrank stand im Flur und Papa klappte zum Schlafen das Sofa aus. Hoffentlich gefiel Rada die Burgidee. Sie hatte mal von ihren Ritterfiguren erzählt.
»Fertig!«
Papas Stimme riss Quinn aus seinen Tagträumen.
*
Zum Frühstück gab es Brot, Käse und Wasser.
»Das nennst du fürstlich?« Quinn hob fragend die Augenbraue.
Papa grinste ihn an. »Eine Mahlzeit wie es sich auf der Burg gehört! Du kannst das Gebäck ins Wasser tunken, dann hast du mittelalterlichen Brei!«
»Nein danke!« Quinn verzog das Gesicht. Er legte die Hälfte vom Käse auf sein Brot und biss kräftig hinein.
»Ich kaufe ein, während du die Kartons sammelst«, bot Papa an. »Später räumen wir auf.«
Samstags half Quinn den Nachbarn mit dem Altpapier. Er entsorgte alte Verpackungen, Pakete, Zeitungen und anderen Kram. Der Container stand vorne an der Einfahrt zur Tiefgarage. Zum Dank für Quinns Hilfe gaben sie ihm ein kleines Taschengeld. Am besten legte er direkt nach dem Frühstück los, damit er fertig war, bevor sein Besuch kam. Manche Nachbarn waren ziemlich redselig. Da verstrich der Vormittag ruckzuck.
*
»Bis gleich!« Quinn zog die Wohnungstür ins Schloss und eilte durchs Treppenhaus, begleitet vom Nachhall seiner Schritte. Sein erstes Ziel war Frau Küsters. Die wohnte genau unter ihnen. Es lohnte sich also nicht, den Aufzug zu nehmen.
Nachdem er geklingelt hatte, dauerte es eine ganze Weile, bis die Tür aufging. Frau Küsters trug eine Schürze und schwang mit dem Kochlöffel durch die Luft. Den hatte sie immer in der Hand. Ohne Übertreibung. Vielleicht war er dort festgewachsen.
»Hallo mein Lieber«, begrüßte sie ihn. »Schön, dass du kommst! Meine Tochter hat mir einen Staubsauger geschenkt und nun verstopft mir der Karton seit Tagen den Flur!«
Der Kochlöffel zeigte auf den knallroten Übeltäter. »Das ist so ein Teil ohne Kabel! Hightech! Aber unter uns: Mir ist mein Holzbesen lieber. Der verbraucht überhaupt keinen Strom.«
Quinn nickte verständnisvoll. »Im Mittelalter hatten sie auch keine Staubsauger. Steckdosen sowieso nicht!«
Frau Küsters kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Für wie alt hältst du mich?«
Quinns Wangen bekamen etwas Farbe. »So hab ich das nicht gemeint!«, protestierte er aufgeregt. »Ich spiele heute Burgherr. Das Hochhaus ist meine Burg und Papa mein Koch. Nachher kommt noch meine Schulfreundin Rada.«
Quinn war sich nicht sicher, ob er Frau Küsters überzeugt hatte. Zum Glück erlöste ihn ein schriller Pfeifenton aus der heiklen Lage.
»Ach du meine Güte, das Wasser kocht. Ich muss in die Küche!« Seine Nachbarin wedelte hektisch mit dem Kochlöffel. »Nimm den Karton bitte mit, mein Lieber. Das Geld liegt drauf.« Schon eilte sie Richtung Pfeifton davon.
Quinn tappte in den Flur und griff nach einem Briefumschlag. Er fühlte keine Münzen. Dann war bestimmt ein 5-Euro-Schein darin. Quinn knickte den Umschlag sorgfältig, bis er in seine Hosentasche passte. Später kam das Geld in das Schraubglas unter seinem Bett. Früher waren da eingelegte Kirschen drin. Der Duft hing immer noch im Glas, obwohl Quinn schon lange seine Ersparnisse darin sammelte. Wenn er genug zusammen hatte, würde er sich eine Burg davon kaufen!
Quinn rief ein zaghaftes »Tschüss« Richtung Küchentür, wo ihn ein schwenkender Kochlöffel verabschiedete. Dann bugsierte er das Ungetüm über die Türschwelle. Hochheben ausgeschlossen. Von wegen, Technik wurde immer kleiner! Im Flur schubste er die Kiste kurzerhand die Stufen hinab ins nächste Stockwerk. Natürlich nachdem er sich vergewissert hatte, dass unten keiner stand. So verfuhr er drei Etagen, bis zum Eingang von Herrn Pöschl.
Die Tür schwang auf, bevor Quinns Finger die Klingel berührten. »Sei gegrüßt!«, empfing ihn der Nachbar. Wie jedes Mal war er in Begleitung seines Siamkaters Ludwig. Beide hatten die gleichen hellblauen Augen. Quinn stellte sich manchmal vor, wie sie im Flur auf ihn warteten. Herr Pöschl das Auge an den Türspion gepresst und Ludwig die gespitzten Ohren am Türschlitz. Es konnte unmöglich ein Zufall sein, dass sie jede Woche just dann die Tür öffneten, wenn Quinn das Altpapier holte.
»Stell dir vor, was uns passiert ist!«
Ach ja, Herr Pöschl und sein Kater Ludwig erlebten immer irgendetwas Ungewöhnliches. Letzte Woche hatten sie falsch bestickte Taschentücher erhalten. Dort hatte statt Pöschl Fröschl gestanden.
»Also, wir haben Fotos von Ludwig geschossen«, legte sein Nachbar direkt los, »und eines der Prachtbilder als Poster bestellt. Gestern kam dann das hier.« Er zückte ein Rollpaket aus der Nische neben der Tür. »Da drin ist aber kein Bild von Ludwig!« Herr Pöschl legte eine kurze Pause ein, vielleicht um etwas Spannung aufzubauen. Quinn hob gespannt die Augenbrauen. Das genügte seinem Nachbarn, um mit seiner Geschichte fortzufahren. »Auf dem Poster war also nicht mein geliebter Kater, sondern Schwarzwälder Kaltblüter!« Vier hellblaue kugelrunde Augen starrten ihn an, als könnten sie den Irrtum immer noch nicht fassen.
Quinn wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Hauptsächlich deshalb, weil er keinen blassen Schimmer hatte, was Schwarzwälder Kaltblüter waren. Er kannte nur Schwarzwälder Kirschtorte. Die backte sein Papa manchmal, wenn am Ende des Monats Geld übrig war. Ein Poster mit seiner Lieblingstorte würde Quinn sich jederzeit aufhängen! Schon floss ihm Spucke im Mund zusammen.
Immer noch herrschte peinliche Stille. Also lenkte Quinn das Gespräch auf ein anderes Thema. »Ich spiele heute Burgherr. Hätten Sie auch gerne im Mittelalter gelebt?«
Herr Pöschls verblüffter Gesichtsausdruck wich Entsetzen: »Machst du dich über uns lustig? Katzen wurden im Mittelalter ganz schrecklich behandelt! Niemals würde ich meinem lieben Ludwig so ein Leben zumuten.« Den letzten Satz bellte ihm Herr Pöschl regelrecht entgegen.
Quinn wich einen Schritt zurück und stieß gegen den Karton von Frau Küsters. Verflixt! Das Thema kam bei seinen Nachbarn nicht gut an. Wie vorhin schoss ihm Röte in die Wangen und verbreitete sich über das ganze Gesicht. Bis seine Haut die Farbe von Frau Küsters Staubsaugerkarton angenommen hatte. Gute Tarnung! Trotzdem hätte Quinn sich lieber hinter der Kiste versteckt.
»Tut mir leid, Herr Pöschl. Ich hatte ja keine Ahnung!«
Auf der Stirn seines Nachbarn zeichnete sich eine grimmige Falte ab. »Bei mir musst du dich nicht entschuldigen!«
Quinn brauchte einen Moment, bis er kapierte, wen er um Vergebung bitten sollte. »Sorry, Ludwig, war nicht so gemeint!«
Der Kater maunzte großzügig.
Herrn Pöschl schien das zu beruhigen. Seine Stirn wurde wieder glatt und er überreichte Quinn 25 Cent. »Bis nächste Woche!« Er nickt ihm knapp zu, dann verschwanden er und Ludwig hinter der Tür.
Puh! Besser er machte sich rasch aus dem Staub, bevor sich Herr Pöschl das anders überlegte. Der war schon ein komischer Kauz. Vielleicht lag es daran, dass er und Ludwig so oft alleine waren. Gut, dass Quinn seinen Papa hatte und Papa ihn. Wie es wohl wäre, wenn sie mit allen Nachbarn zusammen auf einer Burg lebten?
Quinn stecke die Paketrolle in den Karton von Frau Küsters und machte sich an den Abstieg zu Aylin. Die Nachbarin war etwa so alt wie Papa und hatte sich im Winter das Bein gebrochen. Seitdem half Quinn ihr mit dem Altpapier. Sie bestellte viel und hatte deshalb immer massig Kartons. Die Knochen waren mittlerweile längst verheilt, aber es war dabei geblieben. Vielleicht war Aylin der Weg zum Container lästig oder sie mochte Quinn. Und damit das so blieb, nahm er sich fest vor, nichts mehr über das Leben im Mittelalter zu sagen.
»Hey Nachbar, komm rein! Lass dich von dem Chaos im Flur nicht stören.« Aylin zeigte auf das Türmchen vor dem Schuhregal. »Ich hab wieder fleißig gesammelt!«
»Schicker Küchenmixer!«, rutschte es Quinn heraus. Es ging ihn eigentlich nichts an, was seine Nachbarin bestellte. Das silbern funkelnde Gerät auf einem der Pakete sprang ihm aber geradewegs ins Auge.
»Welcher Mixer?« Aylin folgte verdutzt Quinns Blick. »Ach der! Keine Ahnung. In dem Karton hat mir mein Bruder selbst gestrickte Handschuhe geschickt. Mit Backen hab ich es nicht so. Ich vergesse immer Zutaten oder schütte Salz statt Zucker rein.«
Quinn schüttelte sich bei dem Gedanken. »Mein Papa kann toll backen!«, verriet er stolz.
»Ihr müsst mich mal einladen, wenn es Kuchen gibt«, bat Aylin munter. »Wie geht es deinem Papa? Ich hab ihn länger nicht gesehen.«
Hieß das etwa, sie hatte nach ihm Ausschau gehalten?
»Alles bestens«, versicherte Quinn, »er arbeitet oft nachts!«
Dann ging ihnen der Gesprächsstoff aus. Über das Mittelalter wollte Quinn ja nicht sprechen.
»Ich muss los!« Er schnappte sich den Stapel, dessen oberste Schachtel an sein Kinn stieß. Kokosduft kroch ihm in die Nase. Er schielte auf den ovalen Paketaufruck.
»Im Mittelalter gab es auch schon Seife«, plapperte er drauf los. »Sie wurde aber kaum benutzt. Die Menschen glaubten, sie bekämen von Wasser eine Seuche. Pest oder Cholera! Dabei hätte ein Seifenbad geholfen!« Quinn klappte den Mund zu. So viel zu seinem Vorhaben! Er war selbst schuld, wenn er auch noch Aylin vergraulte.
Aber der verdarb er nicht so rasch die Laune. »Wenn das so ist, wasche ich mich öfter!« Ihr Lachen war ansteckend.
Erleichtert erzählte Quinn, dass ihn später seine Freundin Rada auf seiner Burg besuchte. »Da muss dann alles exakt so sein, wie im Mittelalter!«
»Das klingt aufregend! Wir haben sowas früher auch gespielt. Ich war die Waffenschmiedin. Sag Bescheid, wenn ihr eine braucht!« Sie drückte Quinn zwei Euro in die Hand.
»Mach ich!«, versprach Quinn, obwohl er hoffte, dass sie keinen Überfall abwehren mussten. Kurz blitzte in seinen Gedanken ein Bild auf: Frau Küsters mit zum Kampf erhobenem Kochlöffel. Er grinste.
*
Es war bereits Mittag, als Quinn alle Haushalte abgeklappert hatte. Sein Kopf brummte von den zahlreichen Geschichten, die er sich angehört hatte. Und jetzt stand er schnaufend vor dem Altpapiercontainer, der fast platzte! Da passte nichts mehr rein. Im Gegenteil. Zeitungen, Kartons und weiterer Papierkram quollen bereits wieder heraus.
Quinn ließ sich genervt auf Frau Küsters Staubsaugerkiste fallen. 19 Stockwerke hatte er nun alles geschleppt und jetzt wurde er das Zeug nicht los! Die Kartons vor den Container stellen war nicht erlaubt. Das hatte er einmal gemacht und dafür einen ordentlichen Anpfiff von der Hausmeisterin bekommen.
Es gab also nur zwei Möglichkeiten. Nummer eins: Er brachte den Nachbarn ihr Altpapier zurück. Dann müsste er aber auch das Geld zurückgeben. Nummer zwei: Er nahm die Kisten mit in ihre winzige Wohnung, wo sie ohnehin schon zu wenig Platz für Besuch hatten. Es war zum Haareraufen! Doch da kam Quinn eine Idee. Also trottete er schwer beladen wie ein Packesel zurück zum Aufzug.
*
Quinn ließ die Kartons vor der Tür stehen und robbte unter dem Wäscheständer durch. Den hatte sein Papa zum Aufräumen in den Flur verfrachtet. Er klemmte regelrecht zwischen Kleiderschrank und Garderobe. Das war beinahe so effektiv wie die Zugbrücke vor einem Burgtor.
Das Wohnzimmer sah tipptopp aus. Das Sofa war eingeklappt und die Bücher im Regal verstaut. Keine Spur von ihrem Ohrensessel oder Papa. Beides fand Quinn schließlich in der Küche.
»Was machst du da?«
»Ich backe!« Papa deutete auf den Küchentisch, wo ein Glas mit Kirschen, Sahne und Schokoraspel warteten. »Ich bin der Burgkoch, schon vergessen?«
Quinns Magen vollführte einen Hüpfer. Der letzte Kuchen war eine Weile her. Die Nachtschichten schienen sich zu lohnen. Doch dann kam ihm ein quälender Gedanke und er schüttelte beklommen den Kopf. »Das kannst du nicht backen!«
Sein Papa sah ihn prüfend an. »Wie meinst du das?«
Quinn klärte ihn auf. »Ich will doch alles haargenau wie auf einer echten Burg machen und im Mittelalter war Schwarzwälder Kirschtorte noch nicht erfunden.«
»Oh!« Papa ließ sich auf den Ohrensessel fallen. Praktisch so ein Sessel in der Küche. »Heißt das, ich muss die Torte unter den Nachbarn verteilen?«
Quinn stellte sich vor, wie Herr Pöschl und Kater Ludwig genüsslich ein Stück Torte verdrückten. »Nein warte, wir können ja einfach so tun!«
Papa nickte erleichtert. »Darf ich überhaupt den Backofen benutzen? Oder bestehst du auf einen Lehmofen?«
Soweit Quinn wusste, waren im Mittelalter mehr Burgen Feuer zum Opfer gefallen als einem Kampf. »Nimm lieber den Backofen!«, entschied er. »Da fällt mir ein, dass du Aylin ein Stück anbieten musst.«
Beim Namen ihrer Nachbarin schlich sich ein Lächeln in Papas Gesicht. Das war ja interessant. Aber es verschwand so rasch, wie es gekommen war.
»Ich kann doch nicht einfach klingeln und ihr einen Teller in die Hand drücken.«
»Nein, du lädst sie natürlich ein!«, korrigierte Quinn. »Ich hab es ihr versprochen und ein Ehrenmann hält sein Wort.« Schon stürmte er aus der Küche und robbte zurück zur Wohnungstür.
»Hast du ihr sonst noch was versprochen?«, rief Papa ihm hinterher.
Doch Quinn überhörte ihn. Beim Thema Schwarzwälder Kirschtorte war ihm das Poster von Herrn Pöschl eingefallen. Was sollte da noch mal drauf sein? Schwarzwälder Kirschblüter oder Schwarzwälder Kalttorten? Ach nein, Schwarzwälder Kaltblüter. Er angelte sich das Rollpaket und entrollte das Poster. Darauf waren Pferde!
»Was ist denn hier los?« Papa lehnte über dem Wäscheständer und starrte ungläubig auf die Paketsammlung.
Quinn blieb ihm die Antwort schuldig. »Pack mal mit an! Als Erstes muss die Wäsche weg!«
Wenig später war das letzte Shirt gefaltet. Und ihr Wohnzimmer sah aus, als hätte der Paketdienst seine gesamte Wagenladung bei ihnen abgeworfen.
Dieses Mal drehte sich Papa im Kreis und raufte sich die roten Locken. »Ich hab das Sofa eingeklappt, die Bücher aufgeräumt, den Ohrensessel in die Küche geschleppt und die Wäsche gefaltet, damit ihr Platz zum Spielen habt! Erklärst du mir jetzt, was du mit dem Gerümpel vorhast?«
»Mach ich!« Und dann erklärte Quinn seinen Plan.
Dafür brauchten sie Scheren, Kleber, Farbe und noch ein paar weitere Kleinigkeiten.
*
Sie hatten über zwei Stunden geschuftet, als es klingelte.
Quinn flitzte in den Flur. »Komm, ich muss dir was zeigen!«, begrüßte er Rada und zog sie samt ihrem Rucksack hinter sich her ins Wohnzimmer.
Der Raum hatte sich in eine mittelalterliche Landschaft verwandelt. Sofakissen und Strickdecke dienten als Wiese und Hügel. Darauf waren Kisten, Kartons und Paketrollen kunstvoll zu einer Burg drapiert. Damit alles zusammenhielt, hatten sie eine Menge Klebstoff und Tackernadeln verbraucht. Papa hatte mit dem Teppichmesser lauter schmale Fenster in Frau Küsters Riesenkarton geschnitten. Und Quinn hatte Herrn Pöschls Bilderrolle rot angestrichen – damit sie zur Kiste passte – und anschließend in vier Türmchen zerteilt. Oben drauf flatterten Fahnen mit der Stickerei Fröschl. Die Taschentücher hatte Quinn letzte Woche aufgehoben. Er wusste, früher oder später fand sich immer eine Verwendung. Bei der Zugbrücke hatten sie sich besonders Mühe gegeben. Aylins Seifenschachtel hatte ein paar Löcher und eine Schnur bekommen. Jetzt konnte die Brücke richtig hochgezogen werden. Dort, wo die Stallungen sein sollten, prangte das Poster mit den Schwarzwälder Kaltblütern. Die Pferde gab es bestimmt auch schon im Mittelalter.
Gespannt beobachtete Quinn, wie seine Freundin reagierte. Dabei trat er ungeduldig von einem Bein aufs andere. Plötzlich hatte er Sorge, dass sie seine Idee völlig bescheuert fand.
»Was ist denn das?« Radas Finger strichen über ein Bild, das die Burgmauer zierte.
»Ein Wappen!« Quinn grinste. »Ist ziemlich modern. Die hatten damals schon Küchenmixer! Deshalb konnte der Koch Schwarzwälder Kirschtorte backen!«
Rada kicherte. »Da fehlt noch was!«
Sie zog am Reißverschluss ihres Rucksacks und stülpte ihn kopfüber, sodass der gesamte Inhalt herausfiel. Kühe, Enten, Schweine, eine Katze – gut, dass Herr Pöschl das nicht mit ansehen musste – und zuletzt zwei Ritterfiguren! Bei dem Gedanken an seine Nachbarn fiel Quinn etwas Wichtiges ein. Er drehte sich zu seinem Papa, der im Türrahmen stand. »Jetzt musst du noch Aylin holen!«
»Ich weiß nicht recht.« Papa kratzte sich verlegen über die Bartstoppeln. »Was soll ich ihr denn sagen?«
»Sag ihr, wir brauchen eine Hufschmiedin für die Pferde!«
Quinn ließ sich zufrieden auf einen Grashügel plumpsen. Das würde ein toller Nachmittag.