Das Paket

Titelbild Das Paket

Benji und seine Eltern fahren jedes Jahr in denselben verschneiten und verschlafenen Ferienort. Lieber würde er mal etwas richtig Aufregendes erleben. Ob das Paket seiner Großeltern dazu beitragen kann?

Die Geschichte gibt es jetzt auch in Gebärdensprache:

Benji blinzelte verschlafen in das grell blinkende Licht seines Weckers. Es waren Ferien, doch heute musste er pünktlich aufstehen. Also schob er die Beine über die Bettkante, schlüpfte in seine Winterboots und stapfte damit durch den Flur.
Auf Höhe des Wandspiegels grinste Benji schief. Er sah albern aus. Die klobigen Stiefel reichten bis knapp unter die Knie. Darüber blieb nur ein schmaler Streifen dunkler Haut, bevor die Shorts anfing. Als habe Benji sich nicht für Sommer- oder Winterkleidung entscheiden können. Aber der Verkäufer hatte geraten, er solle die Boots ordentlich einlaufen.
Im Wohnzimmer entdeckte Benji seine Eltern. Sie standen inmitten krummer Türmchen, die aussahen, als wüchsen sie aus dem Boden. Da gab es welche aus Jacken, aus Hosen, Handtüchern, Zahnbürsten, Decken, Nudelpäckchen, Tomatensoßen, Nussmischungen und einen überaus stattlichen Bücherturm, der alle anderen überragte.
Mama kam herüber und drückte ihm einen Kuss auf die dunklen Locken. Benji tippte mehrfach auf den Lichtschalter. Hell. Dunkel. Hell. Jetzt erst bemerkte Papa seine Anwesenheit und hob die Hände für einen Morgengruß. Da blieb sein Blick an Benjis Beinen hängen und er grinste so schief, wie Benji es aus dem Spiegel kannte. Doch rasch wich Papas Grinsen einer verzweifelten Miene.
»Das hier passt niemals in die Rucksäcke«, teilte er in Gebärdensprache mit. Trotzdem begann er Jacken und Hosen zu verstauen.
Eine halbe Stunde später waren besagte Rucksäcke proppenvoll. Doch leider waren noch nicht alle Türmchen aus ihrem Wohnzimmer verschwunden.
»Lasst uns beim Frühstück überlegen, auf was wir im Urlaub verzichten«, gebärdete Mama und schob sie Richtung Küche.
*
Kurz darauf saßen alle vor geschmierten Broten und gefüllten Tassen. Papa war der Meinung, Mama könne ihren Laptop daheimlassen, weil sie im Urlaub sowieso nicht arbeiten soll. Mama war der Ansicht, Papa könne seinen Espressokocher hierlassen, weil es im Ferienhaus eine Kaffeemaschine gab. Und beide Eltern waren überzeugt, Benji bräuchte nicht so viele Bücher.
»Aber …« Benji stieß gegen seine Tasse, als er gebärdenreich widersprach. Den überschwappenden Tee ignorierte er. Seine Eltern schleppten ihn Jahr für Jahr in denselben Ort. Dort gab es nur Schnee, Eis und vereisten Schnee! Und jetzt sollte er auch noch Bücher zuhause lassen? Im Vergleich zu seinen Freunden hatte er eindeutig den Kürzeren gezogen. Luan fuhr mit seinen Eltern in einen Touristenort mit Schneemobilen und Snowboardkursen. Und Makani saß im Flieger nach Australien, wo jetzt Sommer war, um mit ihrer Tante zu tauchen. Während Benji klarstellte, dass er keine Bücher zuhause lassen würde, schaute Mama immer wieder aus dem Fenster. Was ihn noch mehr ärgerte. Denn so verpasste sie die Hälfte seiner Gebärden.
Auf einmal erhellten Lichtblitze den Raum. Papa, der gerade Benjis Teepfütze aufwischte, nickte Mama zu. Doch Benji war schneller. Er sprang vom Stuhl und sauste zur Haustür.
Draußen stand die Postbotin. In einer Hand trug sie ein Paket, mit der anderen winkte sie Benji ein Hallo zu. Sie wusste, dass er gehörlos war. Deshalb nutzte sie Handzeichen. Die waren nicht vergleichbar mit Gebärdensprache, aber Benji verstand sie trotzdem. Jetzt zum Beispiel zeigte sie auf seine Füße, anschließend hob sie den Daumen.
Benji grinste. Er hatte völlig vergessen, dass er immer noch mit Schlafanzug und Winterboots herumlief. Schön, dass ihr seine neuen Schuhe gefielen. Sie trug allerdings auch ein prächtiges Paar! Klar, sie stiefelte den ganzen Tag durch die Kälte. Und dieser Winter war besonders eisig. Ihm würde noch das Grinsen festfrieren, wenn er nicht wieder ins Warme kam. Also schnappte sich Benji das Paket und winkte der Postbotin zum Abschied.
»Schaut mal, das ist für mich!«, Benji grinste breit. Aber nicht, weil sein Gesicht tatsächlich festgefroren war. »Hier steht: B E N J I.« Er buchstabierte seinen Namen im Fingeralphabet. »Es ist von Oma und Opa.«
Verdutzt stellte er fest, dass seine Eltern überhaupt nicht überrascht wirkten. Eher erleichtert.
»Prima, leg es zu den Rucksäcken«, war alles, was Mama ihm mitteilte.
»Kann ich es noch auspacken?«
Papa schüttelte den Kopf. »Wir sind spät dran. Der Zug wartet nicht. Bitte such dir ein paar Bücher aus, damit wir fertig packen können.«
Benji kniff die Augen zusammen, widersprach aber nicht mehr. Den Zug wollte er auch nicht verpassen. Besser ein langweiliger Urlaub als keiner. Immerhin hatte er ein Paket dazubekommen. Also trank er den letzten – nicht verschütteten – Schluck lauwarmen Tee und schob sich den Rest Käsebrot in den Mund. Mit Hamsterbacken eilte er ins Wohnzimmer. Dort suchte er kurzerhand alle Abenteuerbücher heraus. In den meisten spielten Hunde eine Rolle. Das waren seine Lieblingstiere. Benjis größter Traum war ein eigener Hund, aber dafür war es in ihrer Stadtwohnung zu eng.
Wenig später kamen seine Eltern herein. Mama legte ihren Laptop beiseite und Papa verzichtete auf den Espressokocher. Jetzt passte Benjis – inzwischen recht kümmerlicher – Bücherstapel in den Rucksack. Damit waren alle Urlaubstürmchen verstaut!
»Zieh dich bitte rasch um«, bat Mama, »sonst verpassen wir noch den Zug.«
In Rekordgeschwindigkeit flitzte Benji in sein Zimmer und stand nur Minuten später fix und fertig angezogen im Flur. Papa musterte ihn von den Haarlocken bis zu den Wandersocken, dann legte er den Kopf schief.
Benjis Blick wanderte zum Spiegel. Dieses Mal sah er kein bisschen albern aus. Fliegermütze, Jacke, Schal, Hose, Socken … Benji stutzte, dann rannte er zurück in sein Zimmer. Als er wieder auftauchte, trug er seine Winterboots.
*
Benji lehnte die Stirn gegen die kühle Fensterscheibe. Der Zug verließ gerade den Bahnhof und bunte Häuser zogen an ihnen vorbei. Erst träge, dann immer flotter. Grau, rot, gelb, blau, grün, lila, wild durcheinander, bis die Farben ineinanderflossen. Doch urplötzlich war alles weiß! Hier hatte es schon geschneit. Weitläufige Felder schlummerten unter glitzernden Schneedecken, aus denen Bäume, wie erstarrte Eistrolle lugten.
Anfangs war das spannend, aber nach einer Weile wurde Benji langweilig. Da fiel ihm das Paket wieder ein. Sein Blick wanderte durch ihr Abteil. Die Wanderrucksäcke belegten die Sessel ihm gegenüber. Seine Eltern dösten in zwei weiteren. Der Platz neben ihm war leer. Benji runzelte die Stirn. Erst als er den Kopf anhob, entdeckte er das Paket in der Gepäckablage. Was war da wohl drin? Ein Welpe würde hineinpassen. Doch das war natürlich Quatsch. Den würde keiner im Karton verschicken.
Um seine Eltern nicht zu stören, schlüpfte Benji aus seinen Boots und kletterte auf den Sitz. Auf Zehenspitzen bekam er die Pappe zu fassen. Zufrieden balancierte Benji das Paket über dem Kopf. Doch plötzlich verlor er das Gleichgewicht. Seine Socken rutschten vom glatten Kunstleder und er plumpste rücklings in die Tiefe. Zum Glück tat er sich nicht weh. Aber Mama sah ihn streng an. Natürlich entging ihr nicht, was er umklammerte.
»Du packst es besser erst in der Ferienwohnung aus. Wir wollen unterwegs nichts verlieren.«
In Benji stieg Enttäuschung auf. Dieses Paket hatte seine Reise ein klein wenig aufregender gemacht. Wann waren seine Eltern eigentlich so langweilig geworden? Früher waren sie das nicht gewesen. Ihre Fotoalben waren vollgestopft mit Erinnerungen an ferne Länder. Indien, Japan, Argentinien. Aber mit ihm fuhren sie jedes Jahr an denselben Ort.
Mama schien ihm die miese Laune an der Nasenspitze anzusehen. »Dir wird gefallen, was in dem Paket ist. Du musst dich nur ein bisschen gedulden.« Sie zog ihr Tablet aus der Tasche. »Magst du etwas anschauen?«
Benji nickte ergeben und tauschte sein Päckchen gegen das Gerät ein. Darauf hatten sie gestern Folgen seiner Lieblingsserie geladen. Er wischte über das Display, bis er die richtige App fand. Bald erschien der Vorspann mit einem rennenden Border Collie. Der schwarz-weiße Hütehund löste in jeder Folge einen Kriminalfall. Neben dem Video war ein Dolmetscher eingeblendet. Der übersetzte was in der Sendung zu hören war in Gebärdensprache. Vor allem Dialoge, also Gespräche zwischen den Figuren. Er beschrieb aber auch Geräusche und die Musik. Zum Beispiel, welche Instrumente spielten, ob sie hektisch, vergnügt oder wehmütig klangen. Das war klasse! Bei anderen Serien erschienen nur Texte am Bildschirmrand. In denen stand zwar drin, was gesprochen wurde. Doch das ging viel zu schnell. Meist verschwanden die Buchstaben, bevor Benji zu Ende gelesen hatte. Dann musste er zurückspulen.
*
Benji hatte drei oder vier Folgen angesehen, als Mamas Hand vor seinem Gesicht wedelte.
»Was ist los?«
»Unser Bahnhof wurde durchgesagt. Zieh dich warm an.«
Warm anziehen? Es brauchte einen Augenblick, bis Benji kapierte. Auf dem Tablet nahm der Border Collie gerade eine Abkühlung im See. Das passte überhaupt nicht zum Anblick hinter den Zugfenstern. Dort wirbelten derweil bauschige Schneeflocken vorbei. Die Durchsage hatte Benji natürlich verpasst. Die konnte nur Mama hören.
Schon spürte Benji, wie der Zug abbremste. Wackelig auf den Beinen schnappte er sich Jacke, Schal und Mütze.
Beladen mit den schweren Wanderrucksäcken, traten sie hinaus in den verschneiten Bahnhof. Da erst fiel Benji auf, dass etwas fehlte. Ohne auf seine Eltern zu achten, machte er auf dem Stiefelabsatz kehrt und stürmte zurück in den Zug. Das Abteil schien auf den ersten Blick leer. Kein Paket auf den Sitzen oder der Gepäckablage. Benji ließ sich auf den schmuddeligen Boden fallen und tatsächlich, unter einem Sessel wurde er fündig. Das Päckchen musste beim Bremsen darunter gerutscht sein. Als er es herauszog, ging ein Ruck durch den Zug. Ging es schon weiter? Benji durchfuhr ein gewaltiger Schreck. Er rappelte sich auf und hechtete zur Tür. Sie war bereits geschlossen und ließ sich auch nicht mehr öffnen – egal, wie oft Benji auf den Drücker haute. Er drehte sich hilfesuchend um die eigene Achse. Da entdeckte er die Zugbegleiterin, die vorhin ihre Fahrkarten kontrolliert hatte. Benji trat zu ihr und winkte hektisch. Als er ihre Aufmerksamkeit hatte, deutete er auf die Tür. Die Frau beugte sich herab und sprach ihn an. Aber Benji konnte nicht von den Lippen lesen. Wenn nicht gleich etwas passierte, würde er bis zum nächsten Bahnhof weiterfahren. In seiner Verzweiflung griff er nach dem Ärmel ihrer Uniform und zog sie Richtung Tür. Hinter der Scheibe tauchten die sorgenvollen Gesichter seiner Eltern auf. Endlich zückte die Zugbegleiterin ihr Funkgerät und Sekunden später glitten die Türen beiseite. Erleichtert sprang Benji in Papas Arme. Dabei entglitt ihm das Paket. Doch Mama erwischte es, bevor es im Schneematsch landen konnte. Benji drehte sich noch einmal um und winkte seiner Retterin dankbar zum Abschied.
*
Das Ferienhaus lag nicht weit vom Bahnhof. Drinnen war es fast so lausekalt wie draußen. Doch das war Benji egal. Endlich waren sie angekommen und er wollte sein Paket öffnen. Leider hatten ihm Papa und Mama seine Extrarunde im Zug noch nicht verziehen. Immer wieder hoben sie die Hände, um ihm Vorwürfe zu machen, groß und deutlich. Das war wohl nicht der beste Zeitpunkt, um nach seinem Paket zu fragen.
»Geh doch eine Runde Schlitten fahren, während wir einheizen und auspacken«, schlug Papa schließlich vor.
Benji nickte erleichtert. Wenn er später reinkam, war die schlechte Stimmung sicher verflogen. Seine Eltern sorgten sich zwar oft, waren aber nie nachtragend. Also holte er den Hornschlitten aus der Wäschekammer – dort stand er seit Jahren – und stapfte durch den Garten zum Buckel. Es hatte aufgehört zu schneien, und einzelne Sonnenstrahlen schoben sich durch die Wolkendecke. Das perfekte Rodelwetter.
Der Buckel war ein Schlittenberg oder eher ein Schlittenhügel. Trotzdem war er ein beliebter Treffpunkt. Hier wimmelte es von Schlitten, Bobs und Porutschern. Benji reihte sich in die Kolonne der Kinder ein, die bergauf pilgerten. Ein paar von ihnen kannte er aus den letzten Jahren. Sie winkten einander lebhaft zu.
Endlich auf der Kuppe angekommen schwang Benji sich auf den Schlitten und düste auf vorgepflügter Bahn abwärts. Und schon reihte er sich für die zweite Runde ein. Eine Weile vergaß er seinen Groll über den langweiligen Urlaub und rutschte mindestens zwanzig weitere Male den Buckel runter. Schade, dass er den Holzschlitten immer wieder hinaufziehen musste. Allmählich schmerzten seine Arme. Bei der letzten Talfahrt flog Benji auch noch vom Schlitten und landete mit dem Gesicht voran im Pulverschnee. Der nutzte jede Ritze zwischen Schal und Jacke. Der Kälteschock verpasste seiner Laune einen Dämpfer. Da half jetzt nur eines: Er musste endlich das Geheimnis um das Paket seiner Großeltern lüften.
*
Als Benji die Wohnung betrat, war ihm affenlausekalt. Seine steifen Finger kämpften mit den angefrorenen Schnürsenkeln seiner Boots – und verloren! Weitere Versuche waren aussichtslos, also behielt er sie an. So flott ihn seine Stiefel trugen, stürmte Benji durch die Wohnung und stieß die Türen auf. Gäste-WC. Wohnzimmer. Treppe rauf. Badezimmer. Schlafzimmer. Treppe runter. Waschraum und Heizungsraum. Fündig wurde er nicht. Blieb nur noch die Küche, wo vermutlich auch seine Eltern waren. Schade, Benji wäre gerne ungestört an sein Paket gekommen. Bevor er jedoch die Küchentür erreichte, nahm er aus dem Augenwinkel etwas unter der Treppe wahr. Volltreffer!
Benji kniete sich hin und wog das Päckchen in den Händen. Das verriet nicht viel. Der Inhalt war schwerer als Zuckerwatte und leichter als Goldbarren. Aber Benji rechnete weder mit dem einen noch dem anderen. Die Paketlasche hatte sich bereits ein Stück gelöst. Das verstand er als Angebot. Besser er nutzte die Gelegenheit, bevor seine Eltern auftauchten. Benji umklammerte den Pappstreifen und zerrte so kräftig, wie das mit steifgefroren Fingern eben ging. Das war leider nicht genug! Er starrte das Paket grimmig an. Natürlich half auch das nicht.
Als sich eine Hand auf seine Schulter legte, wirbelte Benji herum. Wo kam Mama plötzlich her?
»Du bist durch die ganze Wohnung gepoltert«, klärte sie ihn auf, als habe sie seine Gedanken gelesen. »Das klang wie eine Horde Rentiere!«
Benji biss sich auf die Lippe. Woher sollte er wissen, wie laut die waren. Hing das von der Größe ab? Oder vom Gewicht? Er hatte jedenfalls nicht daran gedacht, dass Mama ihn hören würde.
»Na komm, du darfst jetzt auspacken.« Sie half Benji aus den feuchten Kleidern und führte ihn in die Küche, wo es nach Zimt und Orange roch.
»Hattest du Spaß draußen?«, empfing ihn Papa.
Benji nickte. Bevor er sich unterhalten konnte, musste er seine frostklammen Hände an einer Teetasse wärmen.
Die nächsten Minuten waren eine Qual. Während Benjis Finger gemächlich auftauten, platze er fast vor Neugierde. Seine Eltern machten sich einen Spaß daraus, komische Dinge aufzuzählen, die in seinem Paket stecken könnten. Benji strafte sie mit finsteren Blicken. Erst als Papa eine Poolnudel vorschlug, zuckten seine Mundwinkel.
Endlich kam Gefühl in Benjis Finger! Er stellte die Tasse beiseite und riss die Paketlasche mit einem Ruck auf. Unter einer Menge Füllpapier entdeckte er etwas Rundes. Es hatte die Form eines Zylinders. Wie eine Dose Hundefutter – aber mit Knopf. Als Benji drauf drückte, musste er blinzeln. Eine Nachtlampe. Praktisch. Das war nicht alles. Als Nächstes fand Benji Handschuhe. Die waren so dick gepolstert, dass sie zur Nordpol-Expedition taugten. Schließlich hob Benji noch eine Tasche heraus. War die etwa zum Einkaufen? Eher nicht. Sie war bereits prall gefüllt. Benji öffnete den Reißverschluss und eine dunkelrote Stoffecke quoll hervor. Als er daran zupfte, wurde das Ding immer länger und länger, wie eine Röhre. Die äußere Seite war glatt und weich, die innere aus kuscheligem Fleece. Doch erst als das Ende zum Vorschein kam und der Stoffbeutel schlaff zu Boden segelte, erkannte Benji, was er da vor sich hatte: einen Schlafsack. Ein Aufdruck zeigte, dass er bis zu einer Temperatur von Minus 35 Grad geeignet war. Benji wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Glaubten seine Großeltern, auf dem Land gäbe es keine Heizung?
Jetzt erst bemerkte Benji die erwartungsvollen Blicke seiner Eltern. Rasch setzte er ein Lächeln auf, um zu zeigen, dass er sich freute.
»Oma und Opa haben dir geschrieben.« Papa fischte eine Karte aus den Papierschnipseln. Sie zeigte einen knuffigen Huskywelpen mit Pudelmütze. Auf der Rückseite erkannte er die geschwungene Schrift seines Opas.
Beim Lesen wurden Benjis Augen immer größer und runder. Unten angekommen, ging er die Zeilen ein zweites Mal durch.
*
Lieber Benji,
wir schenken dir ein Abenteuer:
Eine 3-tägige Hundeschlittenfahrt!
Dafür brauchst du die Handschuhe und einen besonders dicken Schlafsack. Die Nachtlampe ist winterfest.
Wir freuen uns auf deinen Bericht!
Herzliche Grüße von Oma und Opa
*
»Habt ihr davon gewusst?« Benjis Hände zitterten vor Aufregung.
Mama nickte. »Übermorgen geht es los!«
»Oder willst du doch lieber eine Poolnudel?« Papa grinste.
Benji schüttelte energisch den Kopf. Dabei leuchteten seine Augen mit der Nachtlampe um die Wette. Wie hatte er denken können, seine Eltern wären langweilig geworden? »Ich brauche dein Tablet!«
Mama hob überrascht die Augenbrauen, überreichte ihm das Gerät aber ohne eine Frage. Er stellte es auf den Küchentisch und rückte die Lichtdose zurecht, damit er gut ausgeleuchtet war. So nahm er ein Video für seine Großeltern auf. Darin bedankte er sich für die super-mega-hunde-coolen Geschenke. Hinter dem Tablet schüttelte Mama den Kopf. Sie erinnerte ihn daran, langsamer und deutlicher zu gebärden. In der Aufregung hatte Benji vergessen, dass Oma und Opa ohne Gebärdensprache aufgewachsen waren und nicht so rasch folgen konnten. Er startete eine neue Aufnahme und bedankte sich in kurzen und einfachen Sätzen. Er versprach Ihnen, später alles zu erzählen. Dann schickte er den Clip ab.
*
Als Benji an diesem Abend ins Bett stieg, war er viel zu aufgeregt, um einzuschlafen! In seinem Kopf wirbelten Fragen umher wie Flocken in einem Schneesturm. Würden sie zusammen auf einem Schlitten sitzen oder bekam jeder einen eigenen? Durfte er die Schlittenhunde füttern? Brauchten Huskys einen Schlafsack? Und so weiter. Benji griff nach der Karte auf dem Nachttisch und las sie ein letztes Mal durch. Ja, das würde tatsächlich ein Abenteuer! Als er das Licht löschte, wurde es zappenduster! Gut, dass seine Großeltern an ein Nachtlicht gedacht hatten. Das würden sie auf dem Ausflug brauchen. Die Dunkelheit hatte aber auch einen Vorteil. Benji wurde schlagartig hundemüde. Der Wirbelsturm in seinem Kopf ließ nach und er sauste auf einem Hundeschlitten ins Traumland.