Die Schatzsuche

Titelbild Die Schatzsuche Esma und Maali mit grüner Karte

Esma hat Ferien, trotzdem ist ihr Tag mit doofen Terminen vollgestopft. Da flattert plötzlich ein geheimnisvoller Brief durchs Fenster. Kann sie mit ihrer Schwester Maali das Rätsel darin lösen?

Esma starrte auf das geöffnete Fenster, aber der Schatten tauchte nicht wieder auf. Vielleicht hatte sie sich den nur eingebildet. Ihr Blick huschte zu Maalis leerem Bett und zurück zum Fenster. In dem Moment flatterte etwas Weißes herein und landete auf dem Teppich. Es war ein ungewöhnlich kleiner Briefumschlag.
Mühsam krabbelte Esma aus dem Bett. Morgens war es am schlimmsten. Da fühlten sich ihre Gelenke völlig steif an, vor allem Knie und Hände. Ihre Finger zogen unbeholfen einen grasgrünen Zettel aus dem Umschlag. Darauf stand in schwarz gedruckten Buchstaben:
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Begib dich auf die Suche nach der größten Buche!
Dort findest du den nächsten Hinweis.
*
Die Rückseite war unbedruckt. Sonderbare Post!
»Ausgeschlafen?« Maali stürmte herein und ließ sich im Nachthemd auf den Teppich fallen. »Was hast du da?«
Esma reichte ihrer Zwillingsschwester den Brief. »Der kam einfach ins Zimmer geflogen.«
Maalis Augen weiteten sich beim Lesen. »Das ist eine Schatzsuche. Lass uns diesen Baum suchen.« Sie legte ihre Handflächen aneinander. »Bitte-bitte-bitte, sag ja!«
Esma grinste breit. »Direkt nach dem Augencheck geht’s los!« Um den Termin würde sie leider nicht herumkommen. Seit sie Rheuma hatte, musste sie regelmäßig zur Kontrolle. Da kam die Vorfreude auf eine Schatzsuche genau zur rechten Zeit.
*
Nach dem Frühstück saß Esma auf dem Sofa mit einem Stadtplan vor der Nase und Kühlpads auf den ausgestreckten Beinen. Der Wecker war auf zehn Minuten gestellt. Während der Rheumaschübe musste sie zwei Mal täglich die Gelenke kühlen.
Maali hockte auf der Lehne und ließ die Füße baumeln: »Wo fangen wir mit der Suche an?«
Ihre Eltern glaubten zwar, dass sich ein Nachbarskind einen Scherz erlaubte, doch das brachte die beiden nicht von ihrer Schatzsuche ab.
»Maali an Schwesterherz: Hast du meine Frage gehört?«
»Ja ja, ich überlege noch, wo wir mit der Suche anfangen«, murmelte Maali in die Karte.
»Sag bloß, da sind Bäume eingezeichnet.« Ihre Schwester tippte auf die Rückseite.
»Quatsch! Aber wenn diese Buche besonders groß ist, steht sie bestimmt nicht an irgendeiner Straßenecke. Die braucht Platz auf einer Wiese.« Esmas Zeigefinger umkreiste einen grünen Fleck auf der Karte. »Der historische Park würde passen.«
»Wow, das ist clever!« Maali nickte anerkennend. »Der liegt ja gar nicht weit von der Praxis. Da komm ich am besten direkt mit.« Ihre Augen funkelten abenteuerlustig. »Lass uns ein Picknick machen!« Schon war sie aus dem Wohnzimmer gerauscht.
Der Wecker piepte zum Ende der zehn Minuten. Die waren heute flott rumgegangen.
*
Wenig später saßen die Zwillinge samt prall gefüllten Rucksäcken mit Mama im Bus. Maali, die den ganzen Morgen über ihre Schatzsuche gequasselt hatte, saß regungslos auf ihrem Platz, das Gesicht nach vorne gerichtet. Sie vertrug das Busfahren nicht. Auch Esma hatte keine Lust zum Reden. Vor Arztterminen war sie immer nervös. Ihr Blick schweifte aus dem Fenster.
Fußgänger, Geschäfte und Werbeplakate zogen vorbei. Überall gab es Anzeichen für die bevorstehende Weltmeisterschaft. Fahnen hingen in der Deko. Plakate warben mit Tickets. Jedes zweite Kind trug ein mit Bällen bedrucktes Shirt. Es wäre toll, in einem Fußballverein zu spielen, wie ihre beste Freundin Feli.
»Wir sind da«, riss Mama Esma aus ihren Gedanken und drückte ihr einen Rucksack in die Hand.
*
Die Ärztin war mit Esmas Augen zufrieden gewesen und es ging endlich los.
»Schatz, wir kommen!«, rief Maali.
Eine Seitenstraße führte direkt zum Park und bald standen sie auf einer weiten Wiese. Kinder kickten sich Bälle zu und Hunde rannten Stöckchen hinterher.
»Welchen Baum nehmen wir uns zuerst vor?«, fragte Maali. Sie drehte sich im Kreis, dass einem vom Zusehen schwindelig wurde. »Für mich sehen alle gleich aus.«
»Nadelbäume können wir schon mal ausschließen.« Esma hielt Maali Mamas Handy vor die Nase. »Das hab ich mir vorhin im Wartezimmer ausgeliehen und nach Buchenblättern gesucht. Die sind oval und etwa zehn Zentimeter lang.«
Doch aus der Ferne vermochte sie Buchen nicht von Eichen oder Linden zu unterscheiden. Womöglich mussten sie den gesamten Park ablaufen, bis sie fündig wurden. Dabei schmerzten ihre Knie jetzt schon. Doch eine Heldin auf Schatzsuche würde nicht jammern! Also zog sie mit Mama und ihrer Schwester von Baum zu Baum und verglich sie mit den Fotos aus dem Internet.
»Ich hab eine!«, rief Maali endlich und zeigte auf einen Zweig mit grünen, ovalen Blättern. »Aber ich sehe keinen Hinweis. Wie ging noch mal der Text?«
Esma zog den Umschlag hervor. »Begib dich auf die Suche nach der größten Buche.« Kaum zu glauben, dass es größere Buchen gab. Die hier war bereits höher als ein Haus. »Können wir eine Pause machen?«, fragte sie zaghaft. Sie war erschöpft, die Sonne knallte auf ihr dichtes Haar und außerdem knurrte ihr Magen. Falls das Ganze doch ein lächerlicher Scherz war, wollte sie zumindest nicht verhungern.
Mama stimmte zu: »Wir könnten uns einen Schattenplatz suchen und erst mal essen.«
»Bitte lasst uns nur noch dort oben nachschauen«, bettelte Maali und zeigte auf einen Hügel mit weiteren Laubbäumen. »Da gibt es sicher auch einen guten Picknickplatz.«
Esma und Mama nickten ergeben und trotteten hinter ihr her.
Auf der Kuppe angekommen, ließ sich Esma neben einen Baum fallen, dessen Krone einen gewaltigen Schatten warf. »Hier ist der perfekte Picknickplatz!«
Während Maali die umliegenden Bäume absuchte, breitete Esma die Picknickdecke aus. Dabei stieß sie gegen eine halb verwitterte Holztafel. »Das ist sie!«, rief sie aufgeregt.
»Kein Grund, zu brüllen, Schwesterherz!« Maali stand direkt hinter ihr.
»Das ist die Buche!« Esma zeigte auf den Baumstamm neben ihnen. Der war so umfangreich, dass sie ihn nicht mal zusammen mit Mama und Papa hätten umfassen können.
»Lies das!« Esma zeigte ihr das Schild mit der Aufschrift:
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Größte Buche Deutschlands:
49,7 Meter hoch.
8,3 Meter Umfang.
Über 250 Jahre alt.
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»Du hast sie wirklich gefunden!« Maali hüpfte vor Freude um den riesigen Buchenstamm herum. Wieder bei Esma angekommen, schlug sie vor: »Ich suche oben, du unten. Abgemacht?«
Esmas Blick wanderte gen Himmel. »Die Buche ist so hoch wie ein Wolkenkratzer!«
»Na gut, ich fange nicht ganz oben an«, räumte Maali ein. Grinsend schwang sie sich auf den untersten Ast und war bald zwischen grünen Blättern verschwunden.
Esma rappelte sich auf, um ihren Teil beizutragen. Der Stamm war knorrig und es gab reichlich Ritzen und Furchen, die sie absuchen konnte. Wachsam ließ sie ihre Finger über die Rinde gleiten und stellte sich vor, wie der Baum im 18. Jahrhundert aus der Erde getrieben war. Ob damals schon Kinder mit Bällen durch den Park gerannt waren? Fußballvereine waren erst rund hundert Jahre später gegründet worden. Das hatte sie im Radio gehört. Auch da ging es seit Wochen nur noch um dieses Thema. Sie umrundete weiter den Baum und wäre fast an der weißen Ecke vorbeigelaufen, die zwischen den Wurzeln steckte. Sie legte den Kopf in den Nacken und rief: »Hier ist ein Brief!«
Augenblicke später sprang Maali aus dem dichten Blätterdschungel und gemeinsam lasen sie den zweiten Hinweis:
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Bravo! Kannst du auch das nächste Rätsel lösen?
Unter den Kopf musst du dich ducken,
das Wesen wird niemals Feuer spucken.
*
»Okay, irgendwelche Ideen?« Esma blickte ihre Schwester hoffnungsvoll an.
Die schüttelte den Kopf. »Nein. Lass uns erst mal essen. Mit vollem Magen kann ich besser denken.«
Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen und so packten sie ihren Proviant im Schatten der größten deutschen Buche aus. Mali hatte an Brot und Brettchen, Wasser, Äpfel, Messer, Tomaten, Paprika, Gurkenscheiben und sogar an ihren Lieblingsaufstrich gedacht. Was Esma überraschte, weil Maali selten plante und deshalb immer etwas vergaß.
Esmas Hand rutschte vom Deckel des Linsenaufstrichs. Er saß einfach zu fest! Maali nahm ihr das Glas ab, schraubte den Deckel auf und reichte es wortlos zurück. So war das zwischen ihnen. Wenn Esma etwas nicht konnte, weil ihre Gelenke wehtaten oder die Kraft fehlte, dann half ihre Schwester, ohne viele Worte.
»Jetzt brauche ich nur noch Nachtisch!«, verkündete Maali nach der letzten Gurkenscheibe und zog ihren Geldbeutel aus dem Rucksack. »Da hinten ist ein Eiscafé.«
»Du hast Geld eingesteckt?«, fragte Esma überrascht. Wenn sie mit Mama unterwegs waren, brauchten sie das eigentlich nicht. Außerdem sparte ihre Schwester auf ein Fußball-Shirt.
»Kommst du?« Maali war aufgesprungen und hielt ihr die Hand hin. »Auf dem Weg überlegen wir, welches Wesen in dem Brief gemeint ist.«
»Gute Idee!« Esma wandte sich an Mama. »Möchtest du auch eins?«
Die schüttelte den Kopf. »Geht nur, ich lese noch ein Kapitel aus meinem Krimi.«
Seit wann schleppte Mama denn Bücher mit?
»Los jetzt«, kommandierte Maali und zog Esma sanft auf die Beine.
*
Mit Himbeereis im Hörnchen bummelten die Geschwister durch den Park.
»Kommt es dir auch komisch vor, dass wir noch keinen anderen Schatzsuchenden begegnet sind?« Esma schleckte rasch über ihr Eis, damit nichts von der Waffel triefte.
Maali zog die Schultern hoch. »Lass uns besser das nächste Rätsel lösen, bevor doch noch welche kommen. Wer oder was spuckt denn Feuer?«
»Das ist die falsche Frage.« Esma setzte sich neben ihre Schwester auf einen Brunnenrand. »In dem Hinweis steht: Unter den Kopf musst du dich ducken, das Wesen wird niemals Feuer spucken. Wir müssen also überlegen, wer oder was kein Feuer spuckt?«
Maali grinste breit. »Ich, du, Mama, Papa, Pferde, Katzen, Hühner, Elefanten, Faultiere, Fische …«
»Stopp«, unterbrach Esma die sinnlose Aufzählung. »So kommen wir nicht weiter!« Sie wusch sich die klebrigen Hände am kühlen Wasserstrahl, der aus einem Drachenkopf gluckerte. »Na klar, es geht um den Drachen!«, sprudelte sie los. »Die spucken normalerweise Feuer, aber der hier speit Wasser!« Esma duckte sich, bis ihre Nasenspitze gegen die Wasseroberfläche stieß. Unter dem Rohr klebte ein weiterer Mini-Brief.
»Du hast das Wesen tatsächlich gefunden!«, flüsterte Maali ehrfürchtig.
Sie zogen einen grünen Zettel heraus und lasen:
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Fahre nun gen Westen und tauche mit den Besten.
Nach einem großen Satz wartet der Schlüssel zum Schatz.
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Maali quietschte: »Es geht wirklich um einen Schatz!«
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»Hätten wir die Briefe dalassen sollen?«, fragte Esma auf dem Heimweg im Bus. »Wenn andere Schatzsuchende unterwegs sind, stecken sie an der Buche fest.«
»Können wir später reden?«, presste Maali hervor.
Also ließ Esma ihre Schwester in Ruhe und wischte sich durch eine Karten-App auf Mamas Handy. Huch, da kam schon die Stadtgrenze. Darüber hinaus mussten sie hoffentlich nicht. Sie zoomte näher an den historischen Park und musterte noch mal Straße für Straße. Im Kopf wiederholte sie die Zeilen: Fahre nun gen Westen und tauche mit den Besten. »Ich hab’s!«, rief sie unvermittelt. Fahrgäste drehten sich zu ihr um. »Ich hab die Lösung!«, flüsterte sie weiter. »Westlich vom Park liegt das Hallenbad, in dem die Landesmeisterschaften ausgetragen werden. Mit den Besten sind die schnellsten Schwimmer gemeint!«
Maali hielt den Blick in Fahrtrichtung, nickte aber zufrieden. »Wenn wir schwimmen, darfst du deine Krankengymnastik bestimmt ausfallen lassen.«
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Die Badesachen waren rasch gepackt und sie fuhren mit ihrem Papa zum Hallenbad. Als er in der Herrenumkleide verschwand, zog Maali Esma in die Damenumkleide. Sie kannte das Schwimmbad, weil sie hier kürzlich ein Schwimmabzeichen abgelegt hatte.
»Ich bin so aufgeregt! Was könnte das für ein Schatz sein? Gold, Schokolade, eine mit Edelsteinen besetzte Schwimmhaube?«
Esma lachte. »Ich hätte gerne das Trikot meiner Lieblingsstürmerin!«
»Das wär der Hammer!« Maali fischte ihren Badeanzug aus dem Rucksack. »Und dazu einen signierten Ball!«
Während die beiden sich umzogen, diskutierten sie über Fußball. Welches Land die besten Chancen auf den Titel hatte und wer Torschützenkönigin werden würde. Wie gerne wären sie mit ihrer Freundin Feli ins Stadion gegangen, doch das fanden Mama und Papa zu teuer. Sie würden zum Public Viewing gehen. Das machte auch Spaß. Die Stadt bestückte größere Plätze mit Leinwänden, um die Spiele zu übertragen. Essen und Trinken durfte sich jeder selbst mitbringen.
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»Zurück zur Schatzsuche!«, rief Maali.
Sie standen vor dem 50-Meter-Becken. Den Brief hatten sie im Spind gelassen, aber Esma kannte den Text auswendig. »Fahre nun gen Westen und tauche mit den Besten. Nach einem großen Satz wartet der Schlüssel zum Schatz. Soll das heißen, wir müssen uns lange Sätze ausdenken oder steht hier irgendwo einer?« Esma ließ ihren Blick über die Mosaike an den Wänden gleiten. Die bunten Steinchen ergaben eine farbenfrohe Unterwasserlandschaft mit Fischen, Muscheln und Korallen.
Maali schüttelte die langen Locken. »Keine Ahnung. Lasst uns erst mal eine Runde schwimmen, wenn wir schon mal hier sind.«
Das Wasser war angenehm kühl und nahm Druck von den Gelenken. Esma schwamm vier Bahnen und ließ sich danach gemütlich treiben. Plötzlich schoss Maalis Kopf aus dem Wasser und spritzte eine Ladung Wassertropfen in Esmas Gesicht. »Ich hab das Rätsel gelöst!« Sie zeigte auf die Sprungbretter.
»Meinst du, wir müssen da rauf?« Esma wischte sich die Wassertropfen von der blassen Nase.
Maali zitierte: »Nach einem großen Satz wartet der Schlüssel zum Schatz. Wir sollen keinen langen Satz aussprechen, sondern einen großen Satz machen, also springen.«
Esma stieß Luft aus den Backen. »Ohne mich!«
*
Zehn Minuten später standen sie auf dem 3-Meter-Brett. Esma krallte sich ans Geländer. Ihre Knie zitterten. »Hast du was gefunden?«
»Leider nicht. Ich hätte schwören können, dass wir hier oben etwas finden! Aber es sieht so aus, als müssten wir erst den Satz machen. Ich warte unten auf dich.« Schon sprang Maali in die Tiefe. Sie durchbrach die Wasseroberfläche, schwamm zum Beckenrand und tauchte wieder auf. »Kommst du?«
Einen Moment überlegte Esma, ob es reichte, wenn eine von ihnen den Satz machte. Doch das wäre wohl gemogelt. Außerdem bildete sich eine Warteschlange hinter ihr. Also holte sie tief Luft und sprang Maali hinterher.
Rascher als vermutet tauchte Esma ins Wasser. Sie öffnete ihre Augen und sah direkt unter sich etwas Glitzerndes auf den Bodenfliesen! Mit ein paar kräftigen Schwimmzügen erreichte sie den Beckengrund und griff danach. Beim Tauchen fühlte sie sich zum Glück viel wohler als beim Springen. Nun stieß sie sich mit den Füßen ab und schoss hinauf zur Wasseroberfläche.
»Du bist tatsächlich gesprungen und irre tief getaucht!« Maali strahlte sie stolz an. Dann schielte sie auf Esmas Hand, die ihr etwas direkt vor die Nase hielt. »Was ist das?«
»Der Schlüssel zu Spind Nummer 11.« Esma grinste. »Genug gesprungen, es wird Zeit, dass wir uns umziehen! Ich sag schnell Papa Bescheid.«
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Mit klopfendem Herzen steckte Esma den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn im Kreis. Bilder von Schatztruhen, Kronen und Edelsteinen zogen durch ihren Kopf. Hinter der Spindtür lag aber nur ein weiterer Briefumschlag, etwas größer als die letzten. Waren sie immer noch nicht am Ziel? Oder behielten ihre Eltern recht und das Ganze war ein dummer Streich?
»Nun mach schon auf! Hat sich die Suche gelohnt?« Maali wickelte sich schnell ein Handtuch um den Kopf und klemmte eine Ecke unter den Rand, damit es festhielt.
Mit flauem Magen spähte Esma in den Umschlag. Darin lagen Tickets. Vielleicht fürs Kino? Die wären nicht gerade so viel wert wie ein Diamantring, aber doch eine nette Überraschung. Sie zog die Tickets aus dem Umschlag und starrte fassungslos darauf. Es waren keine Kinokarten.
Esma hielt die Karten hoch. »Das sind vier Tickets für das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen!«
»Wow!« War alles, was Maali sagen konnte.
Schon flog ihr Esma mit einem Freudenschrei um den Hals und sie tanzten wild durch die Umkleide. Maalis Handtuch löste sich vom Kopf und trudelte zu Boden. Dann flog Esmas Badelatsche in den nächsten Spind. Die Geschwister brachen in lautes Gelächter aus.
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Als Esma später im Bett lag, konnte sie es immer noch nicht fassen. Sie würde mit ihrer Familie das Finale sehen. Live. Vor Ort. Im Stadion! Aber wo kamen diese Karten her?
Sie hatten den ganzen Heimweg und beim Abendessen darüber gesprochen, aber es blieb ein Rätsel. Sicher würde sie vor lauter Aufregung nicht einschlafen können. Im Gegensatz zu ihrer Schwester, die immer und überall einschlummern konnte. Wahrscheinlich sogar in einem vollen Fußballstadion. Auch jetzt lag sie friedlich schnarchend in ihrem Bett. Sie hatte nicht mal gehört, wie Papa reingekommen war, um Esma ihre wöchentliche Spritze gegen die Entzündungen zu geben.
Das war ein wirklich verrückter Tag gewesen, ein toller verrückter Tag. Heute Morgen hatte sie nur den Arzttermin, Gelenke kühlen, Krankengymnastik und ihre Spritze im Kopf gehabt. Aber die Schatzsuche hatte sie von allem abgelenkt. Außerdem war sie 200 Meter geschwommen, zum allerersten Mal vom 3-Meter-Brett gesprungen und anschließend zum Beckengrund getaucht. Erst jetzt fiel Esma auf, dass sie damit das Bronze-Schwimmabzeichen machen konnte, so wie ihre Schwester.
Da flogen auf einmal alle Puzzlesteine in Esmas Kopf an ihren Platz und ergaben ein Bild, wie das Mosaik im Schwimmbad. Warum war sie nicht eher darauf gekommen? Wer hatte sie denn vom ersten bis zum letzten Brief begleitet? Maali! Ihre Schwester hatte dafür gesorgt, dass die Schatzsuche immer weiterging. Und sie hatte alles bis ins Detail geplant. Von den fußballrasengrünen Zetteln über das Picknick im Park bis zum Spind Nummer 11! Passend zu den elf Spielerinnen einer Mannschaft. Wie lange hatte sie ihre Eltern wohl bequatscht, bis sie die Karten gekauft hatten?
»Danke!«, flüsterte Esma in die Dunkelheit, obwohl ihre Schwester gleichmäßig schnarchte. »Du bist cooler als jedes Fußballticket!«
Für einen Moment unterbrach leises Glucksen Maalis Atemzüge, aber vielleicht hatte sich Esma das auch nur eingebildet.